Kratz Dich Raus

Hans Unstern hat zusammen mit dem Produzenten Nackt im Chez Cherie – Studio eine Platte aufgenommen. Sie heißt Kratz Dich Raus und erscheint am 16. April 2010 auf Nein, Gelassenheit.
 
Es war in Berlin und es war Winter als mir Hans Unstern das erste Mal wie eine Blume aus dem Bösen entgegen geschossen kam. Es war die Zeit der Angst und ich war verwirrt in seinen Liedern gestrandet. Im folgenden dazu ein paar Worte, wiewohl sich über derartige Themen die wenigsten verlieren lassen, die nicht Gewaltsamkeiten erfordern und Fehleinschätzungen zur Folge haben. Und glauben Sie mir, es spricht auch hier, wie es doch meistens so ist, alles dafür.
 
Ein staubiges Europa ist das Interieur dieser Platte. Ein letzter Gruß von den Straßen einer zerfallenden Welt. Ob Hamburg, Anglet oder Barcelona, es liegt ein Schleier über den Geschichten. Hier unternimmt jemand übermütig und fast trotzig eine Reise, in einer Zeit in der das Wort zusehends seinen Begriff verloren hat. Gibt es doch schon kein Dort mehr, das nicht augenblicklich in ein Hier verwandelt werden könnte. Es ist diese Sehnsucht nach dem unbedingten unterwegs sein, die, da sie auf die Strecke und nicht das Ziel schielt, sich vehement gegen die Allmacht der Echtzeit stemmt, eine melancholische Verstimmung, die erst das neue Jahrhundert mit sich brachte. Denn es gräbt sich ein tiefes Loch hinein, wo mit dem verlorenen Sinn für die Ferne auch jeder Nähe ihre Situationen abhanden gekommen sind.
 
Mein Leben hangelt sich an Autobahnen entlang / Automobile hasse ich mehr als alles / Werd mir einen Zebrastreifen malen / Wie sie ihrem Ziel entgegenrasen / Wie sich auf der Ueberholspur Penisse jagen / Mein Blick verbeugt sich mehr und mehr / Aus dem Strassengraben befuehle ich die Dinge neu
 
Die eigenartige Schönheit der Musik, die sich zuvorderst am Beginn eines Stückes bestimmen lässt, da wo sich der erste Ton jedes Mal wieder aus einem Abgrund schält, den das zuvor gehörte hinterlassen hat, hat sich mir erst relativ spät erschlossen. Es ist so, als hätte man sich als erstes die Grammatik dieser Platte anzuschaffen um verstehen zu können, dass sich das Klick und Klack hier, das Kreischen und Kratzen da, die scheinbaren Irrwege und die Haken die sich durch die Musik schlagen, niemals nirgendwohin verlieren und niemals den Worten ins Wort fallen. Nein, ganz im Gegenteil, denn wenn der Song ausbricht, bricht er ins Ganze der Platte auf, und er macht es mit Kalkül, macht es ihretwillen. Ganz wie der Tag die Nacht braucht um sich nicht in Zeit aufzulösen und seinen Namen zu verlieren, scheint kein Stück so recht ohne das andere funktionieren zu wollen. Das fertige Stück funktioniert nur als kurze Station, der Aufbruch ist immer schon angedacht. Alles irrt einer unartikulierbaren Idee, einer, die sich nicht benennen lassen will, entgegen. Und so begegnet einem beiläufig eine Melodie, die man sich nicht Refrain zu nennen getraut, weil sie auf einmal so unvermittelt und hilflos im Raum steht und alles um sie herum weggebrochen ist, dass jedes Wort das man sich denken will einer groben, unsittlichen Berührung gleichkommt. Wie ein Flaneur in den weiten Passagen von Paris bewegt man sich durch die Musik, schleicht man gebannt durch eine fremdartige Welt aus dekorierten Durchgangszimmern. Es ist diese Ungreifbarkeit, die die Aufmerksamkeit schärft, nach der jeder Ton verlangt. So gesehen ist Hans Unstern dann doch weniger Geschichtenerzähler, denn vielmehr Trickser. Und wie immer wenn sich das Erfundene neben das Erlebte drängt, verwandelt sich auch hier alles zur Show. In unserem Fall zur großen Hans Unstern Show. Willkommen.
 
Andreas Spechtl

Kratz Dich Raus – Pressestimmen

DIE ZEIT von Jan Freitag, Mai 2010
Das Kratzen im Hals des Pop — Ein Genre für sich: Der Berliner Radikalchansonnier Hans Unstern zeigt, dass unzeitgemäße Unverdaulichkeit in diesen Tagen eine notwendige Tugend ist. read more..

SPEX von Thomas Hübener, Mai 2010
So viel Sprachgewalt war im Deutschen schon lange nicht mehr: Der Berliner Musiker Hans Unstern denkt die hermetische Lyrik Paul Celans mit der Intensität Patti Smiths und den musikalischen Aneignungsstrategien Bob Dylans zusammen. Sein Debütalbum »Kratz Dich Raus« ist vertontes Roadmovie, dem Zeitgeist hingeworfener Fehdehandschuh, queeres Bekenntnis und vielleicht auch nichts von alledem. Klar ist jedoch schon jetzt, dass es sich um eines der wichtigsten deutschsprachigen Alben des Jahres 2010 handelt. read more…

TAZ von Thomas Winkler, Juni 2010
Auf der Bühne, auf die Unstern mal allein mit Gitarre geht, mal mit (dauernd wechselnden) Musikern, (…) wird es noch eindringlicher, verschwindet der Künstler hinter seiner Kunst, die den Zuhörer wegträgt in die eigenen Assoziationen. read more…

ROLLING STONE von Jürgen Ziemer, Juni 2010
Ein neuer Trickser ist in der Stadt – Nun ist »Kratz Dich Raus« auf dem Label der befreundeten Band Ja, Panik erschienen. Es ist ein wuchtiges Debüt, dessen Sprache immer wieder poetische präzise Bilder findet. read more…

MONOPOL von Max Dax, April 2010
Die acht Lieder des Sängers, Texters und Gitarristen, die sich auf seinem Debütalbum „Kratz Dich Raus“ finden, gehören zum poetischsten und zugleich klügsten, was in deutscher Sprache in den letzten Jahren veröffentlicht wurde. read more…

INTRO von Carsten Schumacher, Mai 2010
Als hätten die späten Goldenen Zitronen ein Album unter der strengen Regie eines Leierkastenmanns im Gartenhaus einer Gründerzeitvilla, die früher mal Blixa Bargeld gehört hat, eingespielt. Zu völlig unbestimmbarer Zeit. Eine Rockband, eine Klarinette, Trompete, Piano, weißderhenkerwas, ist auch egal. Wichtig ist Hans Unstern, dieser Protegé der Neu-Berliner Ja, Panik, dem ein Refrain augenscheinlich nie wirklich wichtig war. read more…